Oekolandbau.de: Die großen Player im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) haben in den letzten Jahren immer mehr Marktanteile dazugewonnen, überwiegend auf Kosten des Naturkosthandels. Macht das die Vermarktung für Bio-Erzeuger schwieriger?
Dr. Kuhnert: Das ist ein Bild, das seit langem gerne gezeichnet wird. Man sollte bedenken, dass der Umsatzanteil des LEH bereits seit 2007 über 50 Prozent des Bio-Marktumsatzes in Deutschland ausmacht. Für Kernprodukte wie Eier, Kartoffeln oder Möhren sind die großen Player schon lange die zentralen Absatzkanäle und Einkaufsstätten der Bio-Käufer. Letztlich hängt es auch hier wieder davon ab, welche Verträge zwischen den Marktpartnern ausgehandelt werden können. Nach meiner Erfahrung entwickeln auch Discounter ihre Bio-Erzeuger zum Teil gezielt weiter und sind an einer langfristigen Zusammenarbeit interessiert. Die Einschätzung, dass der Naturkostfachhandel per se der freundlichere Handelspartner ist, sehe ich kritisch. Letztlich sind es alles Kaufleute, die Geld verdienen wollen und das für eine nachhaltige Existenz auch müssen. Um die heimische Bio-Erzeugung und -Lebensmittelwirtschaft voran zu bringen, braucht es noch mehr Wertschöpfungsketten, die für alle Beteiligten auskömmlich und für die Bio-Konsumenten attraktiv sind – von der Direktvermarktung über die Außer-Haus-Verpflegung bis zum Discount. Damit die breite Masse der Konsumentinnen und Konsumenten besser erreicht wird, führt am LEH auch in Zukunft kein Weg vorbei.
Oekolandbau.de: Wie sieht es bei anderen Bio-Erzeugnissen aus, etwa beim Rindfleisch oder bei Milch?
Dr. Kuhnert: Die Vermarktung von Schlachtkühen läuft mal besser mal schlechter, der größte Teil der Ware landet in kleinen Hackfleischportionen in den Kühltresen der Supermärkte und Discounter. Wir schaffen es bislang leider nicht, die Vermarktung von ökologisch erzeugten Rindern im Ganzen voranzubringen und durchgehend auskömmliche Erzeugerpreise zu erzielen. Sehr bedauerlich finde ich persönlich, dass die Aufzucht und Vermarktung der männlichen Kälber aus der Öko-Milchviehhaltung noch eine große Baustelle ist. Es ist seit vielen Jahren ein Thema, dass diese Tiere überwiegend in die konventionelle Kälbermast verkauft werden. Eine Verbesserung der Brudertier-Vermarktung innerhalb des Ökomarktes würde auch die wirtschaftliche Lage von Öko-Milchviehbetrieben verbessern, weil der Gewinn nicht mehr allein von den Milcherlösen abhinge.
Oekolandbau.de: Warum werden trotz knappem Angebot an deutscher Bio-Ware keine guten Erzeugerpreise erzielt?
Dr. Kuhnert: Wir leben im Kapitalismus und nachhaltiges Handeln wird über den Markt bisher kaum entlohnt. Der Handel hat große Marktmacht. Es werden keine Geschenke für einen guten Zweck verteilt. Hinzu kommt: Der Öko-Markt ist im gesamten Lebensmittelmarkt immer noch ein kleines Segment, das durch die individuellen Vermarktungsstrategien und Handelspartnerschaften der ökologischen Anbauverbände weiter fragmentiert wird. Das ist für die Stärkung der Verhandlungsposition auf Anbieterseite nicht unbedingt förderlich und wirkt dem Aufbau von gemeinschaftlicher Marktmacht seitens der Öko-Akteure entgegen. Auch bei den Vertriebskosten schafft es nur Nachteile. Es geht nicht ohne eine verbesserte Zusammenarbeit der Anbauverbände, wenn die ökologischen Wertschöpfungsketten effizienter werden sollen. Effizienter in den Strukturen und Abläufen zu werden ist neben der Aushandlung von auskömmlichen Preisen ein Thema, das aus meiner Sicht mehr Beachtung erfahren sollte.
Oekolandbau.de: Sehen Sie auch positive Beispiele?
Dr. Kuhnert: Bei vielen Bio-Erzeugnissen hat man im Ökobereich Angebot und Nachfrage sehr genau im Blick. Bio-Molkereien machen das zum Beispiel sehr gut und schauen sehr genau hin, ob und wann sie neue Bio-Milchlieferanten aufnehmen. Auch bei Kartoffeln und Möhren gelingt es recht gut, Angebot und Nachfrage geschickt auszutarieren. Hier tun sich Erzeugerinnen und Erzeuger überverbandlich zusammen und versuchen gemeinsam, ihre Ware optimal zu platzieren. Das ist aus meiner Sicht der Weg, die Vermarktung zusammen mit den Handelspartnern weiterzuentwickeln und mehr Verbindlichkeit in Bezug auf Mengen und Preise für die Bio-Erzeuger zu bewirken.
Oekolandbau.de: Wie wird sich der Ökolandbau Ihrer Einschätzung nach weiterentwickeln in nächsten Jahren?
Dr. Kuhnert: Wenn die Rahmenbedingungen für die Öko-Förderung auf Erzeugerebene so bleiben - und davon gehe ich bis zum Ende der laufenden GAP-Periode in 2027 aus - erwarte ich keine großen Veränderungen. Im Moment freue ich mich, wenn die Netto-Bilanz bei der Entwicklung bei der Öko-Fläche in Deutschland positiv bleibt. Neuumstellungen im größeren Stil sind aktuell nicht in Sicht. Wie es weitergeht, hängt insbesondere auch von der Einkommenslage der konventionellen Betriebe ab. Die war in den zurückliegenden Wirtschaftsjahren überdurchschnittlich gut. Im Wirtschaftsjahr 2022/23 haben die konventionellen Vergleichsbetriebe erstmals seit vielen Jahren deutlich besser als die Öko-Betriebe im BMEL-Testbetriebsnetz abgeschnitten. Bei dieser Ausgangslage gibt es kaum Bereitschaft zur Umstellung. Ein wichtiger Faktor ist auch die grundsätzliche Stimmung im Bio-Markt und ob Unternehmerinnen und Unternehmer an die Zukunft von Bio-Lebensmitteln glauben.